Namenspatrone

Lernen Sie mehr über die Menschen, die den Straßen und Wegen in unserem Kiez ihre Namen gegeben haben.

Paula Fürst (1894–1942)

Paula Fürst wurde am 6. 8. 1894 in Glogau als zweites Kind des jüdischen Kaufmannes Otto Fürst und seiner Ehefrau Malvine (geb. Rosenberg) in Glogau geboren. Im Jahr 1906 zog die Mutter nach dem frühen Tod ihres Gatten mit den beiden Kindern nach Berlin. Hier besuchte Paula eine höhere Töchterschule und anschließend das Victoria-Luise-Oberlyzeum. Dort legte sie 1914 erfolgreich das Lehrerinnenexamen ab. Danach studierte sie noch Französisch und Geschichte an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität. Während ihrer Studienzeit kam sie über Clara Grunwald mit der Montessori-Pädagogik in Berührung. Die neue Erziehungsmethode überzeugte die junge Lehrerin derart, dass sie ihr Studium abbrach und sich nun voll und ganz der Montessori-Pädagogik widmete.

Paula Fürst erwarb nach entsprechenden Studien in Berlin und Rom das Montessori-Diplom, das sie zur Leitung von Montessori-Heimen und -Schulen berechtigte. Sie wurde 1926 bei deren Eröffnung mit der Leitung der ersten Berliner Montessori-Klasse an der 9. Volksschule in Wilmersdorf betraut. Neben ihrer Lehrtätigkeit hielt sie häufig öffentliche Vorträge zur Montessori-Pädagogik, in denen sie stets betonte, dass das Kind, anders als Erwachsene, ein Recht auf Erhaltung seines ihm eigenen Wesens habe.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die Montessori-Pädagogik abgelehnt (ausschließlich von „jüdischen Elementen“ aufgegriffen, fördert „undeutsche und egoistische Haltung“) und wegen Unvereinbarkeit mit der Nazi-Ideologie (mit Montessori-Material Herausbildung der zersetzenden Macht des Indiviualismus, der zur Unfähigkeit lebendiger Teilnahme an Volksgeimeinschaft führt) verboten.

Als Jüdin musste Paula Fürst ihre Stellung als Lehrerin zunächst aufgeben, ihr wurde aber im selben Jahr die Leitung der privaten jüdischen Theodor-Herzl-Schule in Charlottenburg angetragen. Die wenigen, von den Nazis erlaubten, jüdischen Schulen in Berlin erfuhren infolge steigender Zahl von Repressalien gegen jüdische SchülerInnen in den allgemeinen, Schulen starken Zulauf.

Mit dem Novemberpogrom 1938 wurden schließlich alle jüdischen Privatschulen verboten. Zur schulischen Bildung aller jüdischen Kinder wurde die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ verpflichtet. Leo Baeck, der Vorsitzende der Reichsvereinigung, bot Paula Fürst die Leitung der Schulabteilung dieser Institution an, d.h. die Verwaltung sämtlicher jüdischer Schulen in Deutschland. Sie akzeptierte das Angebot nach kurzer Bedenkzeit trotz der schwierigen Bedingungen, die dem Amt innewohnten. Der Novemberpogrom hatte zu Chaos, Auflösung, Flucht im jüdischen Schulwesen geführt, geregelter Schulbetrieb war unter solchen Voraussetzungen kaum möglich. Trotzdem gelang es Paula Fürst bis zum Herbst 1939, das jüdische Schulwesen neu zu ordnen und kontinuierliche schulische Ausbildung für jüdische Kinder zu organisieren. Eine Kollegin aus der Institution war ihre Lebensgefährtin geworden.

Im August 1939 begleitete sie einen Kindertransport nach London, kehrte aber – trotz Emigrationsempfehlungen von Freunden – nach Auftragserfüllung nach Berlin zurück. Sie lehnte jede Möglichkeit Nazi-Deutschland zu verlassen mit der Begründung ab, dass das Leben seinen Sinn verlöre, ließe sie die ihr anvertrauten Menschen im Stich.

Mit Kriegsausbruch im September 1939 verschlimmerte sich die Situation des jüdischen Schulwesens deutlich weiter. In den vergangenen Jahren war die schulische Ausbildung der verbliebenen jüdischen Kinder verstärkt auf die Vorbereitung zur Auswanderung ausgerichtet worden. Im August 1941 wurde die Auswanderung generell verboten, die Lage der jüdischen Familien verschlechterte sich durch die konsequente Anwendung der Nürnberger Gesetze dramatisch. Jüdische Menschen waren in der Öffentlichkeit fast täglich Schikanen und Erniedrigungen ausgesetzt. Ab September 1941 begannen die Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager Richtung Osten. Paula Fürst versuchte trotzdem unter größten Anstrengungen einen halbwegs geregelten Schulbetrieb zu bewerkstelligen, bis die Nazis Mitte 1942 die sofortige Schließung sämtlicher jüdischen Schulen.anordneten.

Paula Fürst befand sich zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr in Berlin. Die Gestapo hatte am 19. Juni 1942 das Gebäude der Reichsvereingung abgesperrt und wählte 50 der MitarbeiterInnen zur Deportation aus, darunter auch Paula Fürst. 5 Tage Später wurde sie mit 201 anderen Menschen im sog. „Straftransport der Reichsvereinigung“ nach Minsk deportiert und ist dort oder später in einem Vernichtungslager ermordet worden.

Berlin hat Paula Fürst mehrfach gewürdigt:
Im November 2000 Gedenktafel am Haus Kaiserdamm 17-19 für sie und die Theodor-Herzl-Schule;
2013 Umbenennung der 2009 unweit des Kaiserdamms gegründeten Gemeinschaftsschule Charlottenburg in „Paula-Fürst-Schule“. Hier werden viele reformpädagogische Unterrichtselemente umgesetzt.
2015 wurde vor dem Haus Kaiserdamm 101, ihrem ehemaligen Wohnort, ein Stolperstein verlegt.
Ihren Namen tragen ausserdem eine private Musikschule in Lichterfelde und eine Straße in Lichtenberg in unserem Kiez.
In Freiburg im Breisgau trägt seit 2008 die freie Schule des Jugendhilfswerks ihren Namen.

Hildegard Marcusson (1910–1992)

Ärztin, Sozialhygienikerin, Direktorin des Instituts für Sozialhygiene in Berlin-Lichtenberg, wohnte in Berlin Karlshorst

Hildegard Marcusson wurde am 14. Januar 1910 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des jüdischen Arztes Dr. Georg Zehden. Bis zum Jahr 1929 besuchte sie in Berlin die Cäcilienschule. Nach ihrem Abschluss begann sie ein Medizinstudium an der Berliner Universität. In dieser Zeit wurde sie Mitglied der roten Studentengruppe und der Internationalen Arbeiterhilfe. Wegen ihrer kommunistischen Betätigung flog sie 1933 von der Universität.

Daraufhin emigrierte Hildegard Marcusson aus Deutschland. Zunächst ging sie nach Italien. Dort beendete sie 1935 ihr Studium. Ab dem Jahr 1936 lebte sie in der Sowjetunion, wo sie als Ärztin tätig war. Im Januar 1947 kehrte sie mit ihrem Mann, dem Arzt Dr. Erwin Marcusson, nach Berlin zurück. Die beiden hatten 1934 geheiratet. Wenige Wochen nach ihrer Rückkehr wurde ihr Sohn Peter geboren.

Im gleichen Jahr wurde Hildegard Marcusson Mitglied der SED: Bis zum Jahr 1949 arbeitete sie an der Kinderklinik der Charité in Berlin. In den folgenden Jahren, bis 1954, war sie freiberuflich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verlag Volk und Gesundheit tätig. Ab 1954 wurde das Institut für Sozialhygiene und Organisation des Gesundheitsschutzes in Berlin-Lichtenberg ihr neues Betätigungsfeld. Zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, später leitete sie diese Einrichtung. Dieses Institut war unter maßgeblicher Leitung ihres Mannes 1948 neu gegründet worden. Ein Vorgängerinstitut bestand seit 1925. Entsprechend ihrer Ausbildung als Kinderärztin beschäftigte sie sich in vielfältigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit den Problemen Heranwachsender und deren Erziehung.

Hildegard Marcusson starb am 21. August 1992 in Berlin. Für ihre Arbeit wurde Hildegard Marcusson vielfach geehrt. Sie trug den Ehrentitel „Verdienter Arzt des Volkes“ und wurde mit dem Vaterländischer Verdienstorden in Gold, der Medaille „Kämpfer gegen den Faschismus 1933 – 1945“ und der Clara-Zetkin-Medaille ausgezeichnet. Seit 2006 trägt eine Straße im Wohnquartier „Berlin Campus“ in Rummelsburg den Namen Hildegard-Marcusson-Straße.

(BG)

Clara Grunwald (1877–1943, KZ Auschwitz-Birkenau)

Nestorin der Montessori-Pädagogik in Deutschland

Clara Grunwald kam als Sechsjährige mit ihren Eltern und Geschwistern aus dem Rheinland nach Schöneberg (damals noch vor Berlin gelegen). Nach Abschluss ihrer Lehrerinnen-Ausbildung 1896 unterrichtete Grunwald an verschiedenen Schulen in Berlin.

1913 lernte sie die Reformpädagogik von Maria Montessori kennen und wertschätzen. Einsetzen konnte sie sich für diese neue frühkindliche Erziehungstheorie allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg. Sie eröffnete Montessori-Kinderhäuser, führte Lehrgänge durch, lud Maria Montessori zu Vorträgen nach Deutschland ein und gründete 2 Montessori-Vereine, aus denen die „Deutsche Montessori-Gesellschaft“ unter ihrem Vorsitz hervorging. 1929 lief auf Initiative von Clara Grunwald und ihrer jüngeren Schwester Emmy der erste Versuch, eine Eingangs-Volksschulklasse nach Montessori-Methode zu unterrichten, dessen Ergebnis allseits hoch gelobt wurde. Die neue Methode begann sich in Deutschland zu etablieren. 1933 machten die Nationalsozialisten der Entwicklung ein Ende.

Grunwald wurde infolge ihrer jüdischen Herkunft 1933 aus dem Schuldienst entlassen und jedes Engagement für Montessori-Pädagogik untersagt. Sie blieb aber nicht untätig. Grunwald wollte zwar selbst nicht ins Exil, sie organisierte aber im Untergrund Ausreisemöglichkeiten, Verstecke und andere Hilfen für bedrängte jüdische Mitbürger. Im Oktober 1941 kam sie in die jüdische Ausbildungsstätte für Auswanderer „Hachschara“ im ostbrandenburgischen Neuendorf im Sande, wo sie die Kinder unterrichtete. Ab 1942 begannen die Deportationen aus diesem Landwerk. Clara Grunwald wurde von dort am 19.4.1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort vermutlich sofort ins Gas geschickt.

Neben der Straßenbenennung in Rummelsburg finden sich allein in Berlin Gedenktafeln für Clara Grunwald in Friedrichshain (Scharnweberstr.19), im Wedding (Ruheplatzstr. 13), ein Stolperstein im Hansaviertel (Klopstockstr. 19). Ihren Namen tragen eine Schule in Kreuzberg und eine Jugendeinrichtung in Wedding.

Lina Morgenstern, geb. Bauer (1830–1909)

Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Sozialaktivistin

Lina Bauers/Morgensterns soziales Engagement startete bereits 1848, als sie den „Pfennigverein zur Unterstützung armer Schulkinder“ gründete.

Zur Kinderbuchautorin wurde sie 1857, um damit den Unterhalt der Familie zu sichern, nachdem ihr Ehemann Theodor Morgenstern in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. 1859 gründete sie zusammen mit Adolf Lette gegen das damals in Preußen bestehende Kindergartenverbot den „Berliner Frauen-Verein zur Beförderung der Fröbelschen Kindergärten“, dem sie auch von 1861–1866 vorstand. Unter ihrem Vorsitz wurden 8 Kindergärten und 1 Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen eröffnet. Für diese Bildungsanstalt verfasste sie eines der ersten Ausbildungshandbücher zur Fröbelpädagogik, „Das Paradies der Kindheit“, das die öffentliche Diskussion über vorschulische Kindererziehung stark beförderte.

Zum Titel „Suppen-Lina“ kam Lina Morgensterrn durch ihr Engagement für die Bevölkerung im Preußisch- Österreichischen Krieg. Sie setzte sich mit der Gründung des „Vereins der Berliner Großküchen“ – die erste öffnete Mitte 1866 – für die Ausgabe von warmen Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis ein, um so die sozialen Kriegsfolgen zu mildern. Die Erfahrungen aus dieser Initiative beschrieb sie in einem Buch über die Volksküchen, das auch bewährte Rezepte enthielt. Später entstand daraus das „Illustrierte Universal- Kochbuch“. Selbst die preußische Königin Augusta unterstützte, auf die Volksküchen aufmerksam geworden, die Arbeit Lina Morgensterns.

Deren soziales Engagement setzte sich fort mit der Gründung einer „Akademie zur Fortbildung junger Damen“ (1868), eines Kinderschutzvereins (1869), mit der Versorgung der im Deutsch-Französischen Krieg durch Berlin reisenden Soldaten und Verwundeten, sowie mit der Einrichtung einer Feldpoststelle (1870). Auch nach dem Krieg setzte Lina Morgenstern ihr Engagement für Kinderschutz, Erziehungs- und Krankenpflegeschulen fort. 1873 gründete sie den „Berliner Hausfrauenverein“, gab ab 1874 mehr als 30 Jahre lang die „Berliner Hausfrauenzeitung“ heraus. Gemeinsam mit Lina Cauer organisierte sie den „Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen“ (1896 im Roten Rathaus) und wurde 1897 Vorstandsmitgied der „Deutschen Friedensgesellschaft“.

Lina Morgensterns Grab auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee ist Ehrengrab der Stadt Berlin. In Berlin erinnert außer unserer Straße eine Gemeinschaftsschule an diese sozial engagierte und frauenbewegte Berliner Bürgerin.

 (BG)

Emma Ihrer, geb. Faber (1857–1911)

Sozialistin und feministische Politikerin

Sie kam als junge Ehefrau des Apothekers Emanuel Ihrer nach Berlin-Niederschönhausen. Bereits als 24-Jährige gründete sie den „Frauen-Hilfsverein für Handarbeiterinnen“ und 1885, gemeinsam mit Gesinnungsgenossinen, den „Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen“, der unentgeltliche Unterstützung durch Ärzte und Rechtsanwälte organisierte. Dieser Verein wurde zwar schon nach 1 Jahr polizeilich liquidiert, hatte da aber schon über tausend Mitglieder.

Ab 1887 lebte das Ehepaar Ihrer in Velten, kehrte aber 1894 nach Berlin-Pankow zurück, nachdem Apotheker Ihrer seine Konzession aufgrund der politischen Betätigung seiner Frau verloren und seine Apotheke verkauft hatte.

1889 nahm Emma Ihrer gemeinsam mit Clara Zetkin als Delegierte am Internationalen Sozialistenkongress in Paris teil. Sie verhinderten dort einen Beschluss gegen Frauenerwerbstätigkeit und erreichten die Gleichberechtigung für Frauen in den Gewerkschaften. Ende 1890 wurde sie als erste Frau – neben 6 Männern – in die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands gewählt.

Emma Ihrer kämpfte weiter für Frauenrechte: als Herausgeberin von Zeitschriften wie „Die Arbeiterin“ und „Die Gleichheit“, sowie als Gründerin weiterer feministisch-sozialistischer Frauenvereine, wodurch sie ständig in Konflikte mit der Polizei geriet.

Emma Ihrer ist auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde begraben. Außer der Würdigung Emma Ihrers durch die Rummelsburger Straßenbenennung finden sich Gedenktafeln an ihrem ehemaligen Wohnhaus in Berlin-Niederschönhausen (Marthastr.10) und an der Concordia-Apotheke in Velten.

 (BG)

Georg Wolfgang Löwenstein (18.4.1890, Breslau–27.5.1998, Largo/Florida)

Nach dem Abitur studierte Georg Löwenstein zunächst in Rostock und Berlin Medizin, nahm aber noch vor dem Abschluss über 3 Jahre als Frontsoldat am Ersten Weltkrieg teil und wurde schwer verletzt. Seine Kriegserfahrungen machten ihn zum Pazifisten (er wurde Quäker) und Sozialisten. Er trat dem „Verein sozialistischer Ärzte (VSA) bei.

1919 – 1920 schloss er sein Medizinstudium mit dem Staatsexamen und Approbation ab. In dieser Zeit bekam er auch als Medizinalpraktikant Einblicke in Gynäkologie und Dermatologie, schwerpunktmäßig die Behandlung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Er promovierte 1922 mit einem Dissertationsthema aus dieser Arbeit zum Dr. med. Bis 1933 war er Dozent am Kaiserin-Friedrich-Haus und im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Säuglingsheim tätig, mit den Arbeitsschwerpunkten sexuelle Aufklärung, Prostitution und Geschlechtskrankheiten. Er war später auch an der Ausarbeitung und Umsetzung der Gesetze zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten beteiligt.

1926 wurde er als Stadtarzt nach Berlin-Lichtenberg berufen und zum Gemeindebeamten auf Lebenszeit ernannt. In dieser Position konnte er – unterstützt von Bürgermeister Siggel und Stadtrat Torgler – wichtige sozial- und gesundheitspolitische Neuerungen einführen, u.a. die Organisation einer Volksspeisung in Lichtenberg, die Reorganisation der Armen- und Krankenpflege, die Eröffnung von Beratungsstellen für Ehe- und Familienprobleme mit Berücksichtigung sozialer Indikationsgründe zu Schwangerschaftsabbrüchen und Beiträge zum Wohnungsneubau nach neuesten hygienischen Erkenntnissen.

Im April 1933 wurde Georg Löwenstein von Nationalsozialisten aus seiner Dienststelle abgeholt und öffentlich beschimpft, gedemütigt und gequält. Ende September1933 erfolgte dann seine Entlassung aus dem Amt.

1938 wanderte er nach England aus und wurde aus Deutschland ausgebürgert, d.h. er verlor seine Pension und war mittellos. Mit Unterstützung der englischen Quäker konnte er eine Stellung als Tropenhygieniker in London antreten. In der Folge wurde er als Ass.Prof. für Tropenhygiene nach New Orleans berufen. Als er dort ankam, war die Stelle allerdings anderweitig besetzt worden. Schließlich fand er sich in einem Krankenhaus in Chicago als „Medizinal-Assistent“ wieder. Nach erfolgreichem Sprachexamen wurde dank einer Ausnahme-Regelung sein Dr.med.-Status anerkannt und damit eine beschränkte Arbeitserlaubnis als Privatarzt in Chicago erteilt. Ende der 1950er Jahre zog er mit seiner Privatpraxis von Chicago nach Dark Harbour/Maine um.

1947 erwog Georg Löwenstein einen Besuch / Rückkehr nach Deutschland, hat diese Absicht aber an der schweizerisch-deutschen Grenze bei Stein am Rhein aufgegeben. Erst 1980 hat er, als 90-Jähriger, Deutschland doch noch besucht: Er nahm am Berliner Gesundheitstag teil.

 (BG)

Karl Hermann Wilker (6.11.1885, Osnabrück–23.5.1980, Bad Camberg)

Der studierte Naturwissenschaftler Karl Wilker legte 1909 das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Von 1913 – 14 studierte er zusätzlich Medizin und Psychologie und entwickelte sich zum Reformpädagogen.

Zwischen 1910 und 1922 arbeitete er außerdem journalistisch und wissenschaftlich in Berlin, u.a. für die „Zeitschrift für Kinderforschung“. Während des 1. Weltkriegs meldete er sich beim Roten Kreuz und wurde in einem Feldlazarett ärztlich tätig.

1917 übernahm Wilker die Leitung des Zwangserziehungsanstalt Lichtenberg

(Lindenhof) und machte diese zu einem Modell der Reformpädagogik für humanere Fürsorgeerziehung. Es folgten Aufenthalte in der Schweiz, Vortrags- und Lehrtätigkeiten an Volkshochschulen in Thüringen und Sachsen sowie eine

Ausbildung als Silberschmied. 1922 wurde Wilker Mitgründer des „Weltbund für Erneuerung in der Erziehung“, Mitherausgeber der Zeitschrift „Das Werdende Zeitalter“ und veröffentlichte weitere pädagogische Schriften.1933 emigrierte Karl Wilker vor den Nazis in die Schweiz und arbeitete dort bei der Schweizer Erziehungs-Rundschau. Bis Mai 1937 war er außerdem Co-Direktor des Landeserziehungsheimes „Hof Oberkirch“ bis er nach Südafrika mit der Absicht, dort eine ähnliche Einrichtung zu gründen, übersiedelte. Daraus wurde allerdings nichts. Stattdessen arbeitete er 2 Jahre als Lehrer an einer Native High School und bis zu dessen Schließung 1955 als Lehrer und später als Leiter eines Colleges für die Ausbildung von Bantu-Lehrern. Ab 1956 war Wilker als Psychologe und Psychotherapeut in einem Kinderzentrum der Natal Universität in Durban tätig.

1964 kehrte Karl Wilker in die Bundesrepublik Deutschland zurück, wo er 1975 die Ehrendoktorwürde der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt verliehen bekam.

 (BG)

Charlotte Salomon (16.4.1917, Berlin–10.10.1943, KZ Auschwitz)

„Der Mensch sitzt am Meer. Er malt. Eine Melodie kommt ihm plötzlich in den Sinn. In dem er zu Summen beginnt […] merkt er, dass die Melodie genau auf das, was er zu Papier bringen will, passt.“ Anfang 20 ist die jüdische Malerin Charlotte Salomon, als sie diesen Satz im französischen Exil schreibt. Es ist ein Schlüsselsatz für ihr Werk Leben? Oder Theater?

Mit mehr als 1000 Gouachen komponiert sie unter diesem Titel von 1940-1942 ein farbiges Stück Kulturgeschichte, das weit über autobiografische Begrenzungen hinausreicht. Sie integriert Texte in die Bilder, lässt parallele Handlungen auf einzelnen Blättern stattfinden und schlägt Melodien und Lieder vor, die das Stück zu einem Singspiel machen.

Geboren 1917 in Berlin, verliert Charlotte Salomon früh die Mutter. Der Vater heiratet eine berühmte Sängerin, das Haus ist voller Leben und Kunst. Trotz wachsender antisemitischer Anfeindungen beginnt sie 1935 an der heutigen Universität der Künste zu studieren. Der Bruch kommt mit dem furchtbaren Pogrom im November 1938. Nachdem ihr Vater verhaftet wird und wieder freikommt, flüchtet Charlotte Salomon zu den Großeltern an die französische Mittelmeerküste. Sie entdeckt das Licht am Meer und ein kleines Glück. Doch der Großvater unterstützt ihren Drang zum Malen nicht. Die beengten Verhältnisse werden zur Qual. Die Großmutter stürzt sich aus dem Fenster und die Enkelin erfährt, dass auch ihre Mutter Selbstmord begangen hatte.

Dazu meint sie in Leben? Oder Theater? „Doch auf Dauer konnte ein solch tagnächtliches Leben selbst bei einem dazu ‚veranlagten’ Geschöpf nicht ertragen werden. Und sie sah sich nun auch vor die Frage gestellt, sich das Leben zu nehmen oder etwas ganz verrückt besonderes zu unternehmen.“

Also malt sie, schreibt und fügt die Musik dazu ein. Und Charlotte Salomon heiratet, wird schwanger. Doch das Paar wird verraten, deportiert und in Auschwitz ermordet. Bevor sie verhaftet werden, können sie die Kunstwerke einem befreundeten Arzt anvertrauen. Vater und Stiefmutter überleben und machen ihr Werk zugänglich. Eine beispiellose Rezeption ihrer als Vorläufer von Comic Strips und Graphic Novel entdeckten Arbeit setzt sich bis heute fort.

Zum Weiterlesen: Charlotte Salomon. Leben? oder Theater? von Judith C. E. Belinfante und Evelyn Benesch, Taschen Verlag 2017

(Dr. Friederike Frach / Kulturwissenschaftlerin)

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